Vom 12. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre änderte sich nur wenig auf dem Gebiet der heutigen Schuntersiedlung. Die Feldmark Hagen versorgte noch immer die Stadt, weniger als Viehweide, dafür hauptsächlich als Ackerland mit einigen Obst- und Kleingärten. Die Bebauung der Stadt war nur wenig nach Norden vorgedrungen. Einen starken Sprung in der Ausdehnung gab es in den 20er Jahren mit der Gründung des Siegfriedviertels (nach 1933 erweitert). Außer dem Wasserwerk gab es nördlich der heutigen Ottenroder Straße so gut wie keine Bebauung.
Luftaufnahme des Siegfriedviertels in nordöstlicher Richtung, ca. 1930. Mittig verlaufend der Bienroder Weg als Allee. Das Wasserwerk ist am Schornstein zu erkennen. Links daneben die ringförmige Straßenbauversuchsstrecke. Oben links sind auf dem Gebiet des heutigen Syltwegs einige Kleingärten zu erkennen. Im Bogen erstreckt sich die Bahnlinie. Rechts oben schräg verlaufend die Ottenroder Straße. Zoom |
Auf dem Gebiet der heutigen Schuntersiedlung gab es neben Kleingärten nur ein 1934 erbautes Einfamilienhaus, heute Syltweg 1-4 (Walmdach), und ab 1936 - auf dem Gebiet der heutigen siebenstöckigen Wohnhäuser am Bienroder Weg - die Gärtnerei Oppelt mit Wohn- und Betriebsgebäude. Auf dem Bocksbartsfeld befand sich von 1925 bis 1938 eine Versuchsstrecke zur Erprobung von Straßenbelägen, siehe Verkehrswege / Straßen.
Alte Holzbrücke über die Schunter. Im Hintergrund die ersten Gebäude der Schuntersiedlung am Tostmannplatz (damals Skagerakplatz) und an der Stegmannstraße (damals Coronelstraße). |
Zur Überquerung der Schunter gab es damals nur eine hölzerne Fußgängerbrücke. Für Gespanne oder Fahrzeuge war der Bereich also eine Sackgasse! Die nächsten Schunterquerungen waren in → Querum und in Bienrode. Erst 1936, also unmittelbar vor dem Bau der Schuntersiedlung, wurde die Straßenbrücke errichtet, die östliche Hälfte der heutigen zweiteiligen Brücke. Um den wachsenden Kraftverkehr aufnehmen zu können, wurde 1977 die westliche Hälfte ergänzt.
1936 erbaute Straßenbrücke über die Schunter. | 1977 westlich erweiterte Brücke. |
Bauschild des ersten, westlichen Bauabschnitts. Zoom | Plan der Schuntersiedlung von 1937. Interaktive Erläuterungen: Fahren Sie dazu mit dem Mauszeiger über den Plan. Schon 1937 geplant, aber erst später realisiert sind die Bebauungen am Butterberg und an der Steinhorstwiese. Der Syltweg ist schon als Gartenweg erkennbar. Rot: die ursprünglich um den Skagerakplatz (später Tostmannplatz) geplanten Einrichtungen: NS-Haus, HJ-Heim, Schule, Spielplatz, Läden sowie ein Gemeinschaftshaus (westlich). Blau: Neben Schunter und Mittelriede sind noch die alten Verläufe des Bültengrabens zu erkennen. Außerdem sichtbar: die Bebauung am Lauditzkamp sowie die alte Schunterbrücke. Zoom |
1937 bis 1939 entstand dann die Schuntersiedlung am nördlichsten Ende der Feldmark Hagen, in einem geringen Abstand von 100 Metern südlich der Schunter. Die Schuntersiedlung war ein Projekt der → Braunschweiger Baugenossenschaft (BBG), die dort 364 Wohnhäuser mit 928 Wohnungen errichtete. Es wurde damit Wohnraum geschaffen für die zahlreichen Facharbeiter der "Niedersächsischen Motorenwerke G.m.b.H. Braunschweig-Querum" (Nimo, auch Niemo), die 1935 im Querumer Holz nördlich der Schunter gegründet wurde.
Im Zuge der starken Rüstungsanstrengungen des NS-Systems war die Nimo ein Bestandteil des Ausbaus der Region Braunschweig zu einem der großen Rüstungszentren des Deutschen Reiches, zusammen mit dem Stahlwerk Watenstedt (Reichswerke "Hermann Göring", heute → Salzgitter-Flachstahl GmbH) und dem Automobilwerk Fallersleben (heute → Volkswagen Werk Wolfsburg), in dem der KdF-Wagen gebaut werden sollte. Die Nimo war ein Tochterunternehmen der "Büssing-NAG Vereinigte Nutzkraftwagen A.G." und baute im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums Flugmotoren in Lizenz von den → Bayerischen Motorenwerken (BMW) und von → Daimler-Benz. Sie beschäftigte 1936 1600 Mitarbeiter, eine Zahl, die sich bis 1939 verdoppelte. 1944 wurde die Produktion in Kalischächte im → Kreis Helmstedt verlegt. Nach dem Krieg nutzte Büssing bzw. später das Nachfolgeunternehmen → MAN bis 1987 das Gelände weiter (s. Fotos unten). Heute werden die Hallen von einem Immobilienverwaltungsunternehmen vermietet.
Reparatur von Büssing-Lkw. | Büssing-Lkws vor den Hallen der ehemaligen Nimo. |
Auch die Arbeiter des 1938 gegründeten Vorwerks von Volkswagen an der Hamburger Straße werden nicht nur in der für sie gebauten Vorwerksiedlung sondern auch in der Schuntersiedlung Wohnraum gefunden haben. Das Vorwerk diente der Ausbildung der Facharbeiter sowie dem Bau der Fertigungsanlagen, die man für den Bau des KdF-Wagens im Werk → Fallersleben benötigte.
In einem ersten Bauabschnitt der Schuntersiedlung wurde der Teil westlich des Bienroder Wegs erbaut, danach folgte der östliche Teil der Siedlung.
Bau des westlichen Teils. Im Vordergrund die Bahnlinie, Kreuzung Bienroder Weg. | Bau mit der Strecke der Lorenbahn. Zoom |
Aufgrund der häufigen Überschwemmungen der Schunteraue wurde das Gelände mehrere Meter hoch aufgefüllt. Die Keller wurden dazu zunächst ebenerdig gebaut; anschließend wurde um die Häuser herum bis zum Erdgeschoss Sand aufgefüllt. Der kam als Aushub des Mittellandkanals und Hafens aus → Veltenhof. Dazu wurde von dort bis zur Schuntersiedlung eine Lorenbahn errichtet, die bis zur Helgolandstraße reichte.
Es wurden Reihen und Mehrfamilienhäuser mit 2- bis 4-Zimmer-Wohnungen erbaut. Die Miete in einer 2-Zimmer-Wohnung der Schuntersiedlung betrug damals 37 Mark.
Grundriss 2-Familien-Doppelhaus, Erdgeschoss, mit Wohnzimmer 15 m2, Schlafzimmer 12 m2, Küche 8 m2, Abort 1 m2. Dazu kam je Wohnung eine Dachkammer von ca. 11 m2, gesamt also ca. 50 m2 Wohnfläche. |
Grundriss 4-Familienhaus, Erdgeschoss, mit Wohnzimmer 14 m2, Schlafzimmer 12 m2, Kammer 8 m2, Küche 9 m2, Abort 1 m2, Dachkammer 10 m2, gesamt 60 m2. |
Ursprünglich waren neben den Genossenschaftswohnhäusern zusätzlich vorgesehen: Läden, eine Schule mit Spielplatz, eine Gaststätte, ein HJ-Heim, ein NS-Haus, ein Gemeinschaftshaus und Garagen (siehe Plan oben). Eine Gärtnerei war schon vorhanden. Zur Selbstversorgung wurden die Wohnungen mit großzügigen Gärten ausgestattet. Die Schuntersiedlung erfüllte also weiterhin wie schon in den Jahrhunderten vorher die Funktion der Lebensmittelversorgung, wenn auch nur noch für die direkten Anwohner. Der Ertrag der Anpflanzungen war und ist durch die Sandaufschüttung allerdings nicht besonders ergiebig.